Mein Leidensweg: Geruchs- und Geschmacksverlust

Regenbogen über Lindenthal
Aktuelles Update am Ende des Originalbeitrags aus November 2022 ⬇️⬇️⬇️

Wow, jeder wird jetzt denken: Wieder jemand, der endlich erkannt hat, was er empfindet und wer er ist! Ja, irgendwie stimmt das schon, aber meine Empfindungen betreffen eher die Fähigkeiten, unterschiedlichen Geruch und Geschmack wahrzunehmen. Zum allgemeinen Verständnis dazu aber nachfolgend mehr Details.

Mein Leidensweg beginnt

Im Frühjahr 2018 traf mich eine Grippe so stark, dass ich nach einer Woche mit Fieber und weiteren Grippe-Symptomen plötzlich nichts mehr riechen und schmecken konnte. Das kennen sicherlich viele Menschen, dass so etwas auftreten kann. Nachdem ich mich aber etwa zwei Monate damit herumgeschlagen hatte, konsultierte ich Ende April 2018 meinen HNO, um das abklären zu lassen. Dieser führte eine entsprechende Testserie mit unterschiedlichsten Gerüchen bei mir durch. Das Resultat lautete: „Sie hatten einen Virus, der diese „Irritationen“ bei Ihnen ausgelöst hat.“ Das sei wie ein Schlaganfall zu betrachten und man könne mit entsprechendem Training dieses Fehlen der Wahrnehmung von unterschiedlichen Gerüchen und Geschmäckern wieder zurückgewinnen. Geduld und Ausdauer seien angesagt.

Es wurde Sommer 2018 und an meiner Wahrnehmung hatte sich zwischenzeitlich nichts verändert, obwohl ich intensiv daran gearbeitet hatte: Fisch, Kaffee, Käse, Kuchen, Schokolade, Brot und alle anderen Produkte konnte ich nicht riechen oder schmecken. Und getestet habe ich das zusammen mit meiner Frau in Blind-Testungen: Verbundene Augen und unterschiedlichste Gerüche und Geschmacksproben, die mir eigentlich bekannt sein sollten, da es meist von mir geliebte Sachen waren.

Manifestierung der fehlenden Wahrnehmungen

Alle Versuche, meine Sinne wieder zu erwecken, schlugen fehl. Ich konnte Verdorbenes nicht schmecken oder riechen. Auch war ich nicht in der Lage, schmorende oder brennende Objekte wie etwa Papier oder Holz riechen zu können. Mir wurde bewusst, dass die Warnfunktionen nicht mehr funktionierten: Ich konnte Verdorbenes zu mir nehmen, wenn es visuell nicht als solches erkennbar war, denn es war geschmacklich für mich vollkommen in Ordnung. Ich wurde mir der davon ausgehenden Gefahr für mein Leben bewusst und es ängstigte mich.

Mit der Corona-Pandemie häuften sich die Meldungen, dass einige der davon Betroffenen ihren Geschmack- und Geruchssinn verloren hätten und unter Post-Corona leiden würden. Die Kölner Universitätsklinik suchte über den KStA von Corona betroffene Menschen, die sich für entsprechende Untersuchungen zur Verfügung stellen würden. Über diese Studio wolle man neue Erkenntnisse sammeln, um eventuell Lösungen anbieten zu können. Ich kündigte meine Teilnahme an dem Projekt an … und wurde abgelehnt, da ich nicht zur Zielgruppe zählen würde, denn ich hatte ja bereits vor Corona „meine Probleme“!

Aufgrund zahlreicher Informationen aus wissenschaftlichen Nachrichtendiensten habe ich schließlich zu einem Professor in Dresden Kontakt aufgenommen, der auf diesem Gebiet sehr intensiv forscht. Er verwies mich an seine Kollegen an der UK in Köln, wo ich aber wieder zurück an der Stelle angekommen war, die mich bereits abgelehnt hatte.

Mein Leidensweg des nicht riechen und schmecken Könnens schien kein Ende zu nehmen. Mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden, dass ich „behindert“ war. Das gemeinsame Ausgehen mit Freunden, um einen genussvollen Abend mit unterschiedlichsten Gerichten und Getränken genießen zu können, endete meist damit, dass ich wie ein Zombie neben den anderen – die von exzellenten Geschmacksvariationen schwärmten – saß! Mein Leben war nur noch die Hälfte wert – nein, schlimmer noch: Es machte mir keinen Spaß mehr, Freunde zu treffen und deren Genuss ertragen zu müssen.

Durch Zufall stieß ich auf den Blog-Eintrag einer Medizinredakteurin, der mich und mein Problem besser verstehen ließ. Leider fand ich aber auch dort keine wirklichen Hinweise darauf, wie ich meine Probleme in den Griff bekommen könnte. Mir wurde zwar einiges bewusster, wie zum Beispiel das Zusammenspiel zwischen Mund, Zunge und Nase, das führte aber leider nicht dazu, dass ich etwas verändern oder abstellen konnte.

Das besondere Ereignis

Im Sommer 2021 war ich mit meinen Enkelsöhnen und dem Schwiegersohn in der Sächsischen Schweiz zum Wandern unterwegs. Nach einem langen Erlebnistag kauften wir bei Lidl ein, da wir für unser Frühstück in der AirBnB-Unterkunft Nachschub benötigten. Dort fand ich zufällig ein Regal vollgepackt mit den unterschiedlichsten Cannabis-Produkten.

Ich erinnerte mich an meine Jugend und den ersten Joint. Warum nicht etwas Verrücktes machen und Space-Cookies essen? Gedacht und umgesetzt. Ich griff zu und wurde von meinem Schwiegersohn an meine Verantwortung den beiden Enkelkindern gegenüber erinnert, doch kein schlechtes Beispiel zu sein.

„Ach, was soll’s“, sagte ich zu mir selbst und griff zu. Da die anderen drei Männer keinen Keks mitessen wollten, habe ich mir alle sechs einverleibt. Meine beiden Enkelsöhne waren sehr amüsiert darüber, dass ihr Vater aufgebracht war und mein Verhalten eigentlich nicht billigen konnte. Ich ignorierte das aber und gab mich der Versuchung hin.

Auf die Frage der Drei hin, ob ich denn etwas merken würde, kam von mir ein klares Nein! Ich spürte keine Veränderung und meine alten Erinnerungen an Zeiten, die schon lange vorbei waren, wurden nicht aufgefrischt.

Mein erstes deftiges Essen nach drei Jahren, dass ich wieder schmecken konnte!

Zum Abendessen kehrten wir in einem Dorfgasthof ein und bestellten Hausmannskost. Ich ließ mir zu meinen Bratkartoffeln mit Ei und Speck auch noch ein Bier kommen. Und … ich konnte etwas schmecken. Der Speck war köstlich, die Zwiebeln und Kartoffeln schmeckten so, wie ich sie von früher in Erinnerung hatte und das Bier … einfach köstlich! Ich konnte mein Glück nicht fassen, denn ich hätte eine solche Wirkung nach dem Genuss von Space-Cookies nicht erwartet. Ich war überglücklich und tauschte meinen neuen Wahrnehmungen gleich mit allen aus. Wir beschlossen gemeinsam, dass wir am nächsten Tag gleich wieder bei Lidl vorbeischauen wollten, um Nachschub der „wunderbaren Kekse“ zu erhalten.

Enttäuschung

Während des gemeinsamen Frühstücks hörten wir am nächsten Morgen die Nachrichten: „Die Bundespolizei hat zusammen mit dem Zoll in allen deutschen Lidl-Filialen alle Cannabis-Produkte beschlagnahmt.“ Der Grund dafür war, dass bei der tschechischen Produktion erhöhte THC-Werte festgestellt worden waren und die Produkte daher alle aus dem Handel genommen wurden. Schade, denn ich hatte mich schon auf eine weitere berauschende Dosis einstellen wollen.

Unsere Wanderung an diesem Tag war gespickt mit den unterschiedlichsten Geruchswahrnehmungen von mir: „Riecht es hier nach Waldmeister?“ und „Ist das Tannennadefduft, den ich hier wahrnehmen kann?“ Aber leider kein Nachschub an Rauschmittel!

Ein Silberstreif am Horizont

Nach der Rückkehr aus dem Wanderurlaub besprach ich meine neuen Wahrnehmungen mit meinen Hausarzt, da ich ihn darum bitten wollte, dass er mir medizinisch aufbereitetes Cannabis verschreiben sollte. Er verneinte, obwohl er von meinem Bericht erstaunt war und eigentlich auch nicht abgeneigt zu sein schien, diesen Versuchsweg gemeinsam mit mir zu gehen.

Da er nach dem Betäubungsmittelgesetz mir dieses Mittel nicht verschreiben dürfe, riet er mir dazu, einen Schmerzarzt zu konsultieren, da dieser mir das unter bestimmten Bedingungen verschreiben könne. Da ich aber außer den üblichen Schmerzen aufgrund eines Bandscheibenverlustes und anderen Beschwerden von keinen weiteren starken Schmerzen berichten konnte, machte ich mir keine allzu großen Hoffnungen. Ich ging erst gar nicht zu einem Schmerzarzt hin, um mich nicht lächerlich zu machen.

Die Zeit verging und damit wurden auch meine Wahrnehmungen des Geruchs und Geschmacks weniger – ja, ich war wieder an dem Punkt angekommen, an dem ich fast nichts mehr genießen konnte. Der Frust war so groß, dass meine Frau es schließlich nicht mehr ertragen konnte, mich immer wieder dabei sehen zu müssen, wie schmerzlich es für mich war, wenn ich nichts riechen und schmecken konnte: Jede Speise war geschmacklos und alle Gerüche nicht mehr wahrnehmbar. Sie war es dann auch, die mich anstieß, doch endlich einmal einen Versuch zu unternehmen, noch einen Arzt zu finden, der sich meiner erbarmen würde.

Über das Internet suchte ich nach einem Schmerzarzt in meiner Nähe. Ich schrieb ihn an, schilderte ihm mein Anliegen zusammen mit einer detaillierten Anamnese und vereinbarte schließlich einen Gesprächstermin mit ihm. Mit sehr geringen Erwartungen berichtete ich ihm von meinem Leidensweg und dem Aha-Erlebnis mit den Space-Cookies. Da fast neun Monate seit dem Erlebnis vergangen waren und ich dem Arzt glaubhaft machen konnte, dass ich kein Junkie, sondern ein gesundheitlich bewusst lebender Mensch sein, entschloss sich dieser, mir ein Privatrezept auszustellen. Er war, was den Erfolg anbetraf, sehr skeptisch, wollte aber mit mir gemeinsam diesen Versuch starten.

Wer nun glaubt, dass man Cannabis-Produkte in jeder Apotheke bekommt, dem kann ich nur sagen, dass das leider nicht der Fall ist. Meine Apothekerin meines Vertrauens machte sich aber für mich stark und fand eine Kollegin, die mein Medikament herstellen würde. Ich machte mich auf den Weg und konnte meine Cannabis-Rezeptur drei Tage später abholen: Rund 265 EUR für 25 ml Cannabis-Tinktur, die ich drei Mal täglich in 0,5 ml Portionen zu mir nehmen sollte. Jeder „Schuss“ kostete somit fast sechs Euro! Ich war geschockt, aber bereit, diesen Versuch trotz alledem zu unternehmen.

Die ersten „Gaben“ waren für mich geschmacklos und zeigten keine Wirkung. Da ich mich entschlossen hatte, eine Cannabis-Tagebuch zu führen, dokumentierte ich jeden Tag mit allen Empfindungen. Nach etwas drei Tagen zeigte sich eine erste Wirkung, die sich von Tag zu Tag veränderte.

Heute, 50 Schüsse später und mit mittlerweile rund zwei Monaten Abstand seit der letzten Einnahme, kann ich sagen, dass mein Selbstversuch erfolgreich war: Ich schmecke und rieche wieder. Zwar noch immer etwas eingeschränkt, denn ich kann noch nicht alles wieder sicher zuordnen, aber ich habe wieder Genuss. Ich bin mit meinem Schmerzarzt dahingehend verblieben, dass wir weitere vier Wochen verstreichen lassen, bevor ich mich wieder bei ihm melde, um erneut darüber zu berichten, wie sich alles weiter entwickelt hat.

Ich bin froh, dass ich einen Arzt gefunden habe, der zuhörte und sich in mich und meine Situation hineinversetzen konnte. Jetzt drücke ich mir weiterhin die Daumen, dass sich alles noch weiter positiv entwickelt und ich vielleicht Ende des Jahres wieder alles in vollem Umfang genießen werden kann. Als fünffacher Großvater bin ich mir darüber bewusst, dass Cannabis kein Rauschmittel ist, dass man bedenkenlos konsumieren sollte. In meinem speziellen Fall möchte ich aber sagen, dass mein Schritt der richtige war, den ich auch immer wieder gehen würde.

P.S. Es ist Mitte November 2022 und ich kämpfe weiterhin um die Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Mittlerweile habe ich zwei Mal einen ablehnenden Bescheid erhalten. Nunmehr bleibt mir als letzter Schritt nur noch der Weg über das Sozialgericht. Und diesen werde ich jetzt beschreiten.

P.S. Heute, am 31.8.23 muss ich sagen, dass es sehr schwierig ist, vor dem Sozialgericht zu seinem Recht zu kommen. Nachdem ich einen Anwalt gefunden habe, der Medizinrecht als Fachgebiet hat, werde ich durch diesen vor dem Sozialgericht vertreten. Eigentlich kann ich mich dort auch selbst vertreten, wenn es aber um Anträge und Fristen geht, ist ein Anwalt sehr hilfreich.

Damit ich nicht auf den Kosten sitzen bleibe, habe ich meine Rechtsschutzversicherung in Anspruch genommen, die alle Verbindlichkeiten für die 1. Instanz übernimmt. Allerdings habe ich im Anschluss an die Zusage auch gleich die Kündigung der RS-Versicherung erhalten. Nun kann ich keine neue mehr abschließen, denn vom Versicherungsgeber gekündigt zu werden, bedeutet, dass man nie mehr eine solche abschließen kann.

Jetzt warte ich auf einen Termin bei dem vom Sozialgericht bestellten Gutachter, der letztendlich zu einer Entscheidung beitragen wird. Ob sie dann für oder gegen mich lauten wird, bleibt abzuwarten. Noch habe ich nicht ganz aufgegeben. Ich kämpfe weiter und hoffe, dass ich obsiegen werde.

Update 11.9.23

Mein Termin beim Gutachter in Dortmund steht fest. Am 21.9. wird er mich „unter die Lupe nehmen“. Inwieweit er testen kann, bleibt abzuwarten, denn ich befinde mich gerade mitten in einer Cannabis-Therapie-Phase, die ich nicht unterbrechen möchte. Zu viel Geld investiere ich momentan, damit ich meine „Behinderung“ irgendwie kontrollieren kann. Ich werde weiter berichten.

Update 11.12.23

Dem Sozialgericht liegt das Gutachten vom 21.11.23 vor, auf das die TKK bereits am 27.11.23 geantwortet hat. Die Beklagte lehnt die Bewertung des Gutachters ab, da dieser den Fakt der „lebensbedrohlichen Situation aufgrund des Verlustes des Geruchs- und Geschmackssinns“ nicht korrekt berücksichtigt habe. Meine Antwort darauf beruht auf meinem Widerspruchsschreiben aus September 2022, in dem ich bereits auf genau diese lebensbedrohlichen Umstände hingewiesen habe. Ein Sachbearbeiter der TKK kann entweder nicht lesen oder hat die falsche Brille auf: Das Gutachten spricht vollumfänglich pro meine gesundheitliche Situation. Jetzt muss das Sozialgericht entscheiden. Ich bin gespannt und berichte zeitnah wieder.

Update 30.4.24

Ein offizielles Schreiben des Sozialgerichts vom 12.4.24 teilte mir mit, was die TKK von mir seit dem 22.3.24 anfordert:

„Die Beklagte teilt zum Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2024 mit, dass nunmehr die Kostenerstattung begehrt wird. Der Kläger hat noch keinen hinreichend bestimmten Klageantrag gestellt, sondern lediglich auf die Aufhebung des zugrundeliegenden Widerspruchsbescheides hingewirkt.

An der Umstellung des Antrages bestehen keine Bedenken, da der Antrag nach § 99 III SGG zulässig in das Verfahren integriert wurde. Der Kostenaufstellung muss aber noch ein Zahlungsnachweis bzw. eine Rechnung vorgelegt werden, da es sonst nicht belegt ist.“

Jetzt hoffe ich, dass mir geholfen wird und ich mein Medikament weiterhin über ein Kassenrezept bei meinem Arzt/der Apotheke abholen kann.